LONDON (IT BOLTWISE) – Die Diskussion um die Bedeutung der ‘imperativen militärischen Notwendigkeit’ im Rahmen des Kriegsvölkerrechts hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Insbesondere Artikel 23(g) der Haager Landkriegsordnung von 1907, der die Zerstörung oder Beschlagnahme von feindlichem Eigentum regelt, steht im Zentrum dieser Debatte.
Die Frage, ob die ‘imperative militärische Notwendigkeit’ einen strengeren Standard als die gewöhnliche militärische Notwendigkeit darstellt, ist ein zentrales Thema in der Interpretation des Kriegsvölkerrechts. Historisch gesehen wurde der Begriff ‘imperativ’ oft als rhetorisch und nicht als doktrinär angesehen, was darauf hindeutet, dass er funktional der etablierten Doktrin der gewöhnlichen militärischen Notwendigkeit entspricht. Artikel 23(g) der Haager Landkriegsordnung verbietet ausdrücklich die Zerstörung oder Beschlagnahme feindlichen Eigentums, es sei denn, dies wird durch die Notwendigkeiten des Krieges zwingend gefordert.
Einflussreich war hierbei der Lieber Code von 1863, der die Grundlage für viele Bestimmungen der Haager Konvention bildete. In der Praxis zeigt sich, dass die Unterscheidung zwischen imperativer und gewöhnlicher militärischer Notwendigkeit oft nicht klar gezogen wird. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der Fall ‘Prosecutor v. Katanga’ vor dem Internationalen Strafgerichtshof, wo die ‘imperative militärische Notwendigkeit’ als anwendbar angesehen wurde, wenn keine Alternative zur Zerstörung von Eigentum existiert.
Diese Interpretation steht jedoch im Widerspruch zu etablierten internationalen Gepflogenheiten und der Auslegung des Lieber Codes, der militärische Notwendigkeit auf Maßnahmen beschränkt, die ‘unentbehrlich’ sind. Der Begriff ‘unentbehrlich’ impliziert bereits eine absolute Notwendigkeit, was die Unterscheidung zwischen gewöhnlicher und imperativer Notwendigkeit in Frage stellt. Tatsächlich könnte der Ausdruck ‘imperativ gefordert’ in Artikel 23(g) eine starke Notwendigkeit nahelegen, die möglicherweise sogar unter der Schwelle der gewöhnlichen militärischen Notwendigkeit liegt.
Die Interpretation der ‘imperativen militärischen Notwendigkeit’ als nur dann gegeben, wenn keine vernünftige Alternative existiert, erfordert eine Untersuchung dessen, was als ‘vernünftig’ gilt. Eine Alternative, die das beabsichtigte militärische Ziel nicht mit vergleichbarer Effektivität erreicht, kann nicht als vernünftig angesehen werden. Diese Auslegung entspricht den praktischen Realitäten bewaffneter Konflikte, in denen Kommandeure realistische und effektive Handlungsoptionen abwägen müssen.
Ein weiterer Grund, eine zu restriktive Interpretation der imperativen militärischen Notwendigkeit abzulehnen, ist, dass Artikel 23(g) sowohl für die Beschlagnahme als auch für die Zerstörung von Eigentum gilt. Eine wörtliche Anwendung würde denselben Notwendigkeitsstandard auf beide Handlungen anwenden, obwohl sie grundlegend unterschiedlich sind: Beschlagnahmen sind in der Regel vorübergehend und umkehrbar, während Zerstörungen dauerhaft sind.
Die humanitären Kosten eines erhöhten Notwendigkeitsstandards sind ebenfalls zu berücksichtigen. Ein solcher Standard könnte dazu führen, dass Kommandeure defensive Maßnahmen zugunsten aggressiverer Alternativen aufgeben, was zu höheren zivilen und militärischen Verlusten führen könnte. Das Kriegsvölkerrecht sollte nicht so ausgelegt werden, dass es den Schutz von Eigentum über den Schutz von Menschenleben stellt.
Im strafrechtlichen Kontext wird Artikel 23(g) durch Artikel 8(2)(b)(xiii) und 8(2)(e)(xii) des Römischen Statuts angewendet. Die Elemente der Verbrechen des Internationalen Strafgerichtshofs sehen ausdrücklich eine Verteidigung auf der Grundlage gewöhnlicher militärischer Notwendigkeit vor, nicht auf der Grundlage imperativer militärischer Notwendigkeit.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Vorstellung, Artikel 23(g) verlange einen strengeren Standard als die gewöhnliche militärische Notwendigkeit, weder durch Logik noch durch staatliche Praxis gestützt wird. Im Einklang mit der rechtlichen Tradition und den operativen Realitäten sollte die imperative militärische Notwendigkeit als funktionales Äquivalent zur gewöhnlichen militärischen Notwendigkeit verstanden werden.
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